Ich zitiere aus dem Buch von Fjodr Dostojewski: „Die Brüder Karamasow“. (Amazon-Kindle, urheberrechtsfreie Ausgabe). Das Buch wurde zwischen 1878 und 1880 geschrieben.
Die Szene, um die es mir geht, spielt sich in einem russischen Kloster ab, wo viele Leute hinpilgern, weil dort der „Starez“, der Chef des Klosters, einen besonderen Ruf als Heiliger hat. Bei dieser Szene segnet er Frauen und Einzelne spricht er an.
»Worüber weinst du denn?« »Um mein Söhnchen gräme ich mich, Väterchen. Beinahe drei Jahre war es alt, es fehlten nur drei Monate. Um mein Söhnchen quäle ich mich, Vater, um mein Söhnchen. (…)
Ich sehe seine Wäsche an, seine Hemdchen oder seine Stiefelchen und heule. Ich lege alles vor mich hin, was von ihm übriggeblieben ist; jedes Stück, das ihm gehört hat, sehe ich an und heule. (…)
Das Weib hörte ihn an mit gesenktem Kopf, die eine Wange in die Hand gestützt. Sie seufzte tief: »Genauso hat mich Nikituschka getröstet; Wort für Wort wie du hat er gesagt: ›Du Unvernünftige, was weinst du? Unser Söhnchen singt jetzt bei Gott dem Herrn zusammen mit den Engeln.‹ Das sagte er zu mir, aber er selbst weint, das sehe ich, er weint genauso wie ich. ›Das weiß ich‹, sage ich, ›Nikituschka. Wo sollte er denn auch anders sein als bei Gott dem Herrn? Nur hier, hier bei uns ist er jetzt nicht, Nikituschka, hier neben uns, wo er früher saß!‹ Ach, wenn ich ihn doch nur ein einziges Mal, nur einen einzigen Augenblick wieder sehen könnte! Ich würde nicht zu ihm hingehen, würde kein Wort sagen, in einer Ecke würde ich mich verstecken. Nur ein einziges Augenblickchen möchte ich ihn sehen und hören, wie er auf dem Hof spielt und wie er dann gelaufen kommt und mit seinem kleinen Stimmchen ruft: ›Mütterchen, wo bist du?‹ Wenn ich nur ein einziges Mal hören könnte, wie er mit seinen Füßen tapp tapp durchs Zimmer läuft, nur ein einziges Mal! So schnell, so schnell kam er manchmal zu mir gelaufen und schrie und lachte! Wenn ich doch nur seine Füßchen hören könnte, ich würde sie gleich erkennen! Aber er lebt nicht mehr, Väterchen, ich werde ihn nie wieder hören. Hier, das ist ein Gürtelchen, aber er selbst ist nicht mehr, ich werde ihn nie wieder sehen und hören!« Sie zog aus ihrem Busen ein kleines gesticktes Gürtelchen, doch kaum hatte sie einen Blick darauf geworfen, begann sie krampfhaft zu schluchzen, sie bedeckte die Augen mit den Fingern und konnte die Tränen nicht halten.
Die Brüder Karamasow (German Edition) (S.60-62). Kindle-Version.
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