<Mit Literaturbetrieb bezeichnet man die literarische Öffentlichkeit, die durch die Zusammenarbeit von Verlegern, Autoren und Medien sowie Institutionen wie Literaturgesellschaften, Stiftungen u. ä., die Literaturpreise vergeben, und die dazugehörigen Jurys hergestellt wird. Dabei rechnen zu den Medien insbesondere die Feuilletonredaktionen der Zeitungen und Literaturzeitschriften sowie der Rundfunkanstalten.>
(Aus: Wikipedia)
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Ich zitiere aus dem Buch von Gunnar Kaiser: „Der Kult“. Verlag Rubikon, München 2022.
<Bald wurde mir klar, dass es, um ein erfolgreicher Schriftsteller zu werden, nicht ausreicht, gut schreiben zu können. Sich im Literaturbetrieb einen Namen machen, in den Feuilletons abgedruckt, in den großen Gazetten besprochen werden – das war die eigentliche Kunst, wenn man als Intellektueller gehört werden wollte. In einem renommierten Verlag veröffentlichen, auf Buchmessen gern gesehener Gast sein, nach der Literaturlesung bei einem Glas Rotwein mit den anderen Happy Few in schöngeistigen Gesprächen versinken. Man musste vor allem »dabei sein«, und das hieß: »akzeptiert werden«. Ich stellte mir diese Republik der Gelehrten, zu der ich gehören wollte, immer wie eine große Festgemeinschaft vor. Eine kultivierte Party im Stile eines Jay Gatsby, auf der interessante Persönlichkeiten bedeutende Dinge von sich geben, weil sie den Drang zur Weltverbesserung verspüren. Diesem apart schillernden Club der Geistesgrößen, die von zukünftigen Literaturwissenschaftlern in die Reihe Orwell – Sartre – Thomas Mann eingeordnet werden würden, wollte ich angehören. Es gelang mir, teilweise, eine Zeit lang. Nach der Veröffentlichung meines ersten Romans wurde ich zu Buchmessen und Lesungen geladen, zu Vorträgen und Soireen … lauter Gelegenheiten, die meinem Geltungsdrang endlich eine gewisse Linderung verschafften. Es waren diese Vorstellungen, die über Jahrzehnte hinweg meine Träume vereinnahmten, und das bis vor nicht allzu langer Zeit. Doch neben dem tief in meiner Seele wurzelnden Bedürfnis nach Anerkennung und danach, gehört und vor allem gelesen zu werden, ging es auch darum, der Verantwortung nachzukommen, die doch dem Beruf des Philosophen und öffentlichen Intellektuellen zukommt. (…)
Und doch: Auf dieser kultivierten Party kam ich mir stets wie ein Außenseiter und Beobachter vor. Betrachtet man die High-Society-Intellektuellen als Gatsbyesque Festgesellschaft, dann fühlte ich mich wie Nick Carraway. Der Zuschauer, der sich schließlich eingesteht, mitten unter den Feiernden ein Fremder zu sein: Ich war, »innen als auch außen, gleichzeitig verzaubert und abgestoßen«. (…)
Er befindet sich in dieser verrückten, oberflächlichen, korrupten Welt und ist doch gleichzeitig nicht von ihr. Voller Unbehagen distanziert er sich, anstatt weiterhin danach zu streben, zu diesen Kreisen zu gehören. Schließlich begeht er sozialen Selbstmord, indem er sich gewaltsam von dieser unmoralischen Gesellschaft abwendet. Mein eigener Nick-Carraway-Moment kam eines Tages in Gestalt meines Literaturagenten zu mir. Ein angenehmer Mensch, mit dem ich einige Jahre erfolgreich zusammengearbeitet und mit dem ich mich immer gut verstanden, ja gar auf einer Wellenlänge gewähnt hatte. Nun jedoch teilte er mir mit, er könne mich, stünde ich weiter zu dem, was ich neuerdings an Unerhörtem von mir gebe, nicht länger vertreten. So unerhört war es mir gar nicht vorgekommen, eher wie das Selbstverständlichste von der Welt – aber es passte eben nicht zu den Geschichten, die man sich wohl sonst auf der Party erzählte. (Dass meine Äußerungen den Stempel der Unerhörtheit der Tatsache verdankten, dass die Welt verrückt geworden war, ihre Verrücktheit aber als Normalität verkaufte, sollte ich erst später begreifen.) Der Agent stellte mich vor eine Entscheidung: Willst du deinem Gewissen folgen oder willst du auf der Party bleiben? Mein Unbehagen wuchs, und mit ihm kamen die Fragen: Sind die Ziele der Partygäste gar nicht meine Ziele, ihre Ideale gar nicht meine? Begegne ich hier echten Menschen mit intellektueller Verantwortung oder nur Masken, die die Angst davor verdecken sollen, was aus ihnen wird, sollte die Party für sie enden? Plötzlich musste ich mich entscheiden: Wie weit bin ich bereit zu gehen für meine Werte und Überzeugungen? Bin ich bereit, das, was ich mir immer gewünscht habe, meinen Lebenstraum, mein Lebensmodell aufzugeben, um das zu tun, was ich für richtig halte? Bin ich bereit, die Party zu verlassen?>
Kaiser, Gunnar (2022-01-30T22:58:59.000). Der Kult (German Edition). Rubikon. Kindle-Version.
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