|
Die Rolle der Presse in der Demokratie
Henning Mankell in dem Krimi: Die falsche Fährte (Schweden 1995, Deutschland ab 1999, hier dtv München 20015)
Zwei verschiedene Sorten von Journalisten
< (…) Ture Svanberg hat mir das Journalistenhandwerk beigebracht. Er sagte immer, daß es zwei Typen von Zeitungsschreibern gibt. „Der eine Typ gräbt in der Erde nach der Wahrheit. Er steht unten in der Grube und schaufelt Erde heraus. Aber oben steht ein anderer Mann und schaufelt die Erde zurück. Er ist auch Journalist. Zwischen diesen beiden herrscht ein ewiger Zweikampf. (…) Du hast Journalisten, die entlarven und aufdecken wollen. Du hast andere Journalisten, die sich als Laufburschen der Macht betätigen und dazu beitragen, das, was eigentlich vor sich geht, zu verbergen.“ (…) Die Männer der Macht halten sich immer symbolische Reinigungsfirmen und Beerdigungsinstitute. Es gibt genug Journalisten, die nicht zögern, ihre Seele zu verkaufen, um deren Interessen zu dienen. Die Erde zurückzuschaufeln. Die Skandale zu begraben. Den Schein zur Wahrheit zu erheben, die Illusion der reingewaschenen Gesellschaft aufrechtzuerhalten.> (S. 112/113)
Oswald Spengler über die Rolle der Presse (1923)
Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes (1. Auflage, Wien 1918, 2. Auflage Beck München 1923). Zweiter Band. Viertes Kapitel. - III. Philosophie der Politik. Die Presse
(Die fetten Hervorhebungen im Text sind von mir.)
Die Reformation sah zu Beginn der Spätzeit [gemeint ist die Spätzeit der ‚Kultur‘. Worauf nach Spengler dann die ‚Zivilisation‘ folgt: ‚Cäsarismus‘ ist schließlich - seiner Ansicht nach - das Ergebnis] die ersten Flugschriften und Feldgeschütze, die französische Revolution zu Beginn der Zivilisation den ersten Broschürensturm vom Herbst 1788 und bei Valmy das erste Massenfeuer einer Artillerie. Aber damit erhebt sich das in Masse hergestellte und über endlose Flächen verbreitete gedruckte Wort zu einer unheimlichen Waffe in den Händen dessen, der sie zu führen weiß. In Frankreich handelte es sich 1788 noch um einen ursprünglichen Ausdruck privater Überzeugungen, aber in England war man schon dabei, den Eindruck auf die Leser planmäßig zu erzeugen. Der von London aus mit Artikeln, Flugblättern und unechten Memoiren auf französischem Boden gegen Napoleon geführte Krieg ist das erste große Beispiel. Die vereinzelten Blätter der Aufklärungszeit verwandeln sich in »die Presse«, wie man mit bezeichnender Anonymität [Und wie im Anklang an »die Artillerie«.] sagt. Der Pressefeldzug entsteht als die Fortsetzung – oder Vorbereitung – des Krieges mit andern Mitteln, und seine Strategie der Vorpostengefechte, Scheinmanöver, Überfälle, Sturmangriffe wird während des 19. Jahrhunderts bis zu dem Grade durchgebildet, daß ein Krieg schon verloren sein kann, bevor der erste Schuß fällt – weil die Presse ihn inzwischen gewonnen hat.
Heute leben wir so widerstandslos unter der Wirkung dieser geistigen Artillerie, daß kaum jemand den inneren Abstand gewinnt, um sich das Ungeheuerliche dieses Schauspiels klarzumachen. Der Wille zur Macht in rein demokratischer Verkleidung hat sein Meisterstück damit vollendet, daß dem Freiheitsgefühl der Objekte mit der vollkommensten Knechtung, die es je gegeben hat, sogar noch geschmeichelt wird. Der liberale Bürgersinn ist stolz auf die Abschaffung der Zensur, der letzten Schranke, während der Diktator der Presse – Northcliffe! [eigene Anmerkung: lt. Bing ein englischer Pressezar zur Zeit von WK 1] – die Sklavenschar seiner Leser unter der Peitsche seiner Leitartikel, Telegramme und Illustrationen hält. Die Demokratie hat das Buch aus dem Geistesleben der Volksmassen vollständig durch die Zeitung verdrängt. Die Bücherwelt mit ihrem Reichtum an Gesichtspunkten, die das Denken zur Auswahl und Kritik nötigte, ist nur noch für enge Kreise ein wirklicher Besitz. Das Volk liest die eine, »seine« Zeitung, die in Millionen Exemplaren täglich in alle Häuser dringt, die Geister vom frühen Morgen an in ihren Bann zieht, durch ihre Anlage die Bücher in Vergessenheit bringt, und, wenn eins oder das andre doch einmal in den Gesichtskreistritt, seine Wirkung durch eine vorweggenommene Kritik ausschaltet.
Was ist Wahrheit? Für die Menge das, was man ständig liest und hört. Mag ein armer Tropf irgendwo sitzen und Gründe sammeln, um »die Wahrheit« festzustellen – es bleibt seine Wahrheit. Die andre, die öffentliche des Augenblicks, auf die es in der Tatsachenwelt der Wirkungen und Erfolge allein ankommt, ist heute ein Produkt der Presse. Was sie will, ist wahr. Ihre Befehlshaber erzeugen, verwandeln, vertauschen Wahrheiten. Drei Wochen Pressearbeit, und alle Welt hat die Wahrheit erkannt. Ihre Gründe sind so lange unwiderleglich, als Geld vorhanden ist, um sie ununterbrochen zu wiederholen. Auch die antike Rhetorik war auf den Eindruck und nicht den Inhalt berechnet – Shakespeare hat in der Leichenrede des Antonius glänzend gezeigt, worauf es ankam – aber sie beschränkte sich auf die Anwesenden und den Augenblick. Die Dynamik der Presse will dauernde Wirkungen. Sie muß die Geister dauernd unter Druck halten. Ihre Gründe sind widerlegt, sobald die größere Geldmacht sich bei den Gegengründen befindet und sie noch häufiger vor aller Ohren und Augen bringt. In demselben Augenblick dreht sich die Magnetnadel der öffentlichen Meinung nach dem stärkeren Pol. Jedermann überzeugt sich sofort von der neuen Wahrheit. Man ist plötzlich aus einem Irrtum erwacht.
Mit der politischen Presse hängt das Bedürfnis nach allgemeiner Schulbildung zusammen, das der Antike durchaus fehlt. Es ist ein ganz unbewußter Drang darin, die Massen als Objekte der Parteipolitik dem Machtmittel der Zeitung zuzuführen. Dem Idealisten der frühen Demokratie erschien das als Aufklärung ohne Hintergedanken, und heute noch gibt es hier und da Schwachköpfe, die sich am Gedanken der Pressefreiheit begeistern, aber gerade damit haben die kommenden Cäsaren der Weltpresse freie Bahn. Wer lesen gelernt hat, verfällt ihrer Macht, und aus der erträumten Selbstbestimmung wird die späte Demokratie zu einem radikalen Bestimmtwerden der Völker durch die Gewalten, denen das gedruckte Wort gehorcht.
Man bekämpft sich heute, indem man sich diese Waffe entreißt. In den naiven Anfängen der Zeitungsmacht wurde sie durch Zensurverbote geschädigt, mit denen die Vertreter der Tradition sich wehrten, und das Bürgertum schrie auf, die Freiheit des Geistes sei in Gefahr. Jetzt zieht die Menge ruhig ihres Wegs; sie hat diese Freiheit endgültig erobert, aber im Hintergrunde bekämpfen sich ungesehen die neuen Mächte, indem sie die Presse kaufen. Ohne daß der Leser es merkt, wechselt die Zeitung und damit er selbst den Gebieter. Das Geld triumphiert auch hier und zwingt die freien Geister in seinen Dienst. Kein Tierbändiger hat seine Meute besser in der Gewalt. Man läßt das Volk als Lesermasse los, und es stürmt durch die Straßen, wirft sich auf das bezeichnete Ziel, droht und schlägt Fenster ein. Ein Wink an denPressestab und es wird still und geht nach Hause. Die Presse ist heute eine Armee mit sorgfältig organisierten Waffengattungen, mit Journalisten als Offizieren, Lesern als Soldaten. Aber es ist hier wie in jeder Armee: der Soldat gehorcht blind, und die Wechsel in Kriegsziel und Operationsplan vollziehen sich ohne seine Kenntnis. Der Leser weiß nichts von dem, was man mit ihm vor hat, und soll es auch nicht, und er soll auch nicht wissen, welch eine Rolle er damit spielt. Eine furchtbarere Satire auf die Gedankenfreiheit gibt es nicht. Einst durfte man nicht wagen, frei zu denken; jetzt darf man es, aber man kann es nicht mehr. Man will nur noch denken, was man wollen soll, und eben das empfindet man als seine Freiheit.
Und die andere Seite dieser späten Freiheit: es ist jedem erlaubt zu sagen, was er will; aber es steht der Presse frei, davon Kenntnis zu nehmen oder nicht. Sie kann jede »Wahrheit« zum Tode verurteilen, indem sie ihre Vermittlung an die Welt nicht übernimmt, eine furchtbare Zensur des Schweigens, die um so allmächtiger ist, als die Sklavenmasse der Zeitungsleser ihr Vorhandensein gar nicht bemerkt. Hier taucht, wie überall in den Geburtswehen des Cäsarismus, ein Stück versunkener Frühzeit auf. Der Bogen des Geschehens ist im Begriff, sich zu schließen. Wie in den Bauten von Beton und Stahl noch einmal der Ausdruckswille der ersten Gotik hervorbricht, aber nun kalt, beherrscht, zivilisiert, so meldet sich hier der eiserne Machtwille der gotischen Kirche über die Geister – als »Freiheit der Demokratie«. Die Zeit des »Buches« wird durch die gotische Predigt und die moderne Zeitung eingefaßt. Bücher sind ein persönlicher Ausdruck, Predigt und Zeitung gehorchen einem unpersönlichen Zweck. Die Jahre der Scholastik bieten in der Weltgeschichte das einzige Beispiel einer geistigen Zucht, die über alle Länder hin keine Schrift, keine Rede, keinen Gedanken hervortreten ließ, die der gewollten Einheit widersprachen. Das ist geistige Dynamik. Antike, indische, chinesische Menschen würden entsetzt auf dies Schauspiel geblickt haben. Aber gerade das kehrt als notwendiges Ergebnis des europäisch-amerikanischen Liberalismus wieder, so wie es Robespierre meinte: »Der Despotismus der Freiheit gegen die Tyrannei«. An Stelle der Scheiterhaufen tritt das große Schweigen. Die Diktatur der Parteihäupter stützt sich auf die Diktatur der Presse. Man sucht durch das Geld Leserscharen und ganze Völker der feindlichen Hörigkeit zu entreißen und unter die eigne Gedankenzucht zu bringen. Hier erfahren sie nur noch, was sie wissen sollen, und ein höherer Wille gestaltet das Bild ihrer Welt. Man braucht nicht mehr, wie die Fürsten des Barock, die Untertanen zum Waffendienst zu verpflichten. Man peitscht ihre Geister auf, durch Artikel, Telegramme, Bilder – Northcliffe! – bis sie Waffen fordern und ihre Führer zu einem Kampfe zwingen, zu dem diese gezwungen sein wollten.
Das ist das Ende der Demokratie. Wenn in der Welt der Wahrheiten der Beweis alles entscheidet, so in der Tatsachenwelt der Erfolg. Erfolg, das bedeutet den Triumph eines Daseinsstromes über die andern. Das Leben hat sich durchgesetzt; die Träume der Weltverbesserer sind Werkzeuge von Herrennaturen geworden. Das Denken und dadurch das Handeln der Masse wird unter eisernem Druck gehalten. Deshalb und nur deshalb ist man Leser und Wähler, also in zweifacher Sklaverei, während die Parteien zu gehorsamen Gefolgschaften von Wenigen werden, über welche der Cäsarismus schon seine ersten Schatten wirft. Wie das englische Königtum im 19. Jahrhundert, so werden die Parlamente im 20. langsam ein feierliches und leeres Schauspiel. Wie dort Szepter und Krone, so werden hier die Volksrechte mit großem Zeremoniell vor der Menge einhergetragen und um so peinlicher geachtet, je weniger sie bedeuten. Das ist der Grund, weshalb der kluge Augustus keine Gelegenheit versäumt hat, die altgeheiligten Bräuche römischer Freiheit zu betonen. Aber die Macht verlagert sich heute schon aus den Parlamenten in private Kreise, und ebenso sinken die Wahlen unaufhaltsam zu einer Komödie herab, für uns wie für Rom. Das Geld organisiert den Vorgang im Interesse derer, die es besitzen,
[hochinteressante Anmerkung von Spengler: Hier liegt das Geheimnis, weshalb alle radikalen, also armen Parteien notwendig die Werkzeuge der Geldmächte, in Rom der equites, heute der Börse werden. Theoretisch greifen sie das Kapital an, praktisch aber nicht die Börse, sondern in deren Interesse die Tradition. Das war zur Zeit der Gracchen ebenso wie heute, und zwar in allen Ländern. Die Hälfte der Massenführer ist durch Geld, Ämter, Beteiligung an Geschäften zu erkaufen und mit ihnen die ganze Partei.]
und die Wahlhandlung wird ein verabredetes Spiel, das als Selbstbestimmung des Volkes inszeniert ist. Und wenn eine Wahl ursprünglich eine Revolution in legitimen Formen war, so hat sich diese Form erschöpft und man »wählt« sein Schicksal wieder mit den ursprünglichen Mitteln blutiger Gewalt, wenn die Politik des Geldes unerträglich wird.
Durch das Geld vernichtet die Demokratie sich selbst, nachdem das Geld den Geist vernichtet hat. Aber eben weil alle Träume verflogen sind, daß die Wirklichkeit sich jemals durch die Gedanken irgendeines Zenon oder Marx verbessern ließe, und man gelernt hat, daß im Reiche der Wirklichkeit ein Machtwille nur durch einen andern gestürzt werden kann – das ist die große Erfahrung im Zeitalter der kämpfenden Staaten – (…)
|