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Systemgläubige Irrläufer

 

21. Juni 2025

 

Kommen wir also zu „unser heutijes Themata“:

 

nämlich zu der notwendigen Ergänzung der Spießergesellschaft. Sofern also die Spießer (Charakterisierung siehe hier) die Gesellschaft dominieren, gibt es ja außer den sonstigen kaputten Leuten auch noch relativ normale Menschen. Um die soll es hier gehen. Die meisten dieser Normalos sind gewillt, sich an die bestehende Gesellschaft anzupassen, sofern ihnen keine extra Knüppel zwischen die Beine geworfen werden. Sie werden dann zu systemgläubigen Irrläufern. Man kann auch sagen ‚Mitläufern‘: Sie gehören nicht zum inneren Kern der Spießer, aber sie ordnen sich den Spießern unter. Ich sage ‚Irrläufer‘ deswegen, weil sie ja eigentlich gar nicht dazu gehören und sich selber sozusagen missverstehen. Der Ausdruck ‚Mitläufer‘ orientiert sich an der Zeit der Entnazifizierung in Deutschland – 1945-1951. Der Nationalsozialismus war ja eine fanatische Welt wildgewordener Spießer – mit dem Oberspießer Hitler an der Spitze als ihr ‚Führer‘.

BING: <Mitläufer galten als Menschen, die zwar Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Organisationen gewesen waren, aber keine aktive Rolle bei Verbrechen oder ideologischer Durchsetzung gespielt hatten. Sie hatten sich dem Regime eher aus Opportunismus, sozialem Druck oder Gleichgültigkeit angeschlossen – nicht aus Überzeugung oder Fanatismus.>

 

Um beim Nationalsozialismus zu bleiben: für mich ist ein typischer Repräsentant dieser Irrläufer der bekannte Panzergeneral Generaloberst Guderian. Er war ungeheuer fähig, und hat mit seinem Einsatz für die neuartige – vor 1939, sozusagen noch fast unbekannte – Panzerwaffe mit ihren Möglichkeiten, entscheidend zu den Anfangserfolgen der Deutschen, den ‚Blitzkriegen‘ auch persönlich beigetragen – in Polen, Frankreich, Russland. – Nichtsdestotrotz gehörte er nach 1941, als Hitlers Behauptungen von der endgültigen Niederlage der Sowjetunion erst mal widerlegt waren, zu den diversen Schwarzen Schafen der Generalität, die daran schuld waren, dass der Sieg nicht gelang, damit die Hitler’sche siegesgewisse Fassade vor dem dt. Spießervolk (und vielen Mitläufern) nicht bröckeln sollte. (Siehe dazu ‘Ideologische Argumentationstricks’ No.50 “Suche nach Sündenböcken”, Beispiel 1 Unternehmen Barbarossa)  – 1944/45 wurde Guderian dann wieder zurückgeholt, sogar als Chef des Generalstabs des Heeres, hatte besonderen Zugang zum Oberspießer Hitler, wurde dann aber März 1945 aufgrund von Diskrepanzen bzgl. der Verteidigung der dt. Ostgebiete wieder entlassen. (Siehe dazu id. Arg. Tricks No.43 Beispiel 4).

Warum ich das so ausführlich bringe? Weil ich denke, die Spießergesellschaft ist auf solche fähigen Irrläufer-Leute angewiesen. Die Spießer selber können sowas nicht. – Andere berühmte Irrläufer-Beispiele sind Werner Heisenberg, Gustav Gründgens, Heinrich George, Hjalmar Schacht oder Herbert von Karajan.

 

Deshalb ist es möglicherweise wichtig, dass die Normalos sich aus ihrer Symbiose mit den Spießern lösen.  – Was aber ist, wenn die Spießer nur noch unter sich das Sagen haben?

 

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Welche Eigenschaften haben die Normalos, die sich dem System der Spießer verschreiben?

Ich denke, diese Normalo-Irrläufer zeichnen sich durch eine Art ‚Elefantenhaut‘ aus. Sie sind in der Lage, nichts Kritisches, was sich gegen die Spießergesellschaft richtet, an sich herankommen zu lassen.

 

Eigenschaften der systemgläubigen Irrläufer

 

Maximilian Cross hat das Verdienst, in seinem Buch „Der Systemgläubige“ (Amazon Kindle 2024) in seiner Einleitung eine Charakteristik der Systemgläubigen darzulegen. Aus dieser Charakteristik entnehme ich hier einige wichtige Aspekte, die – nach meiner eigenen Erfahrung – dem systemgläubigen Irrläufer zukommen.

  • Die systemgläubigen Irrläufer ziehen in Bezug auf das System der Spießer die Unwissenheit der Wahrheit vor.
  • Sie schauen meistens weg, wenn ihnen am System was nicht passt.
  • Sie schlucken weitgehend, was ihnen vom System zugemutet wird.
  • Informationen, die vom System vorgesetzt werden, hinterfragen sie üblicherweise nicht nach ihren Widersprüchen.
  • Die offizielle Version der Ereignisse durch das System ist in der Regel die einzig akzeptable Wahrheit. Alternative Sichtweisen werden weitgehend ignoriert.
  • Der systemgläubige Irrläufer verteidigt das System gegen Kritik. Abweichende Meinungen erscheinen ihm prinzipiell ungehörig – ja unmoralisch, wenn nicht sogar staatsfeindlich.
  • Er ist eine weitgehend gehorsame Figur im (Kriegs-) Spiel der Spießer.
  • Der Konformismus (und das Schweigen) des systemgläubigen Irrläufers bekräftigt seine Zugehörigkeit zur Spießergesellschaft.
  • Er hat großes Vertrauen in die Figuren der Spießermacht, das was sie tun und das was sie sagen. Gut und Böse sind im offiziellen Spießernarrativ klar getrennt. Insofern gibt es in einem Spießersystem keinen Platz für einen ernstgemeinten geistigen Pluralismus. Daran orientiert sich auch der systemgläubige Irrläufer weitgehend.
  • Die offiziellen Narrative sind Teil der Identität des systemgläubigen Irrläufers. Soweit individuelle Aspekte mit dem System in Bezug stehen kommt Selbstreflexion oder Selbstkritik deshalb für ihn kaum in Frage.
  • Der systemgläubige Irrläufer hat also einen inneren Zensor etabliert, der weiß, was nicht gesagt und nicht gedacht werden darf.
  • Er sieht seine Selbstzensur als Reife, Klugheit und Realismus an. Weil er damit innerlich konform ist mit der (Spießer-) Gesellschaft und dementsprechend in ihr seinen Platz hat, fühlt er sich Andersdenkenden überlegen. Die Argumente eines Andersdenkenden überhört er, seine eigenen Argumente jenem gegenüber sind weitgehend ideologielastig und insofern ignorant.

 

 

 

 

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