|
01. Dezember 2025
Es geht hier nicht darum, dass der Schriftsteller Gerhard Zwerenz ein besonderes Interesse an dem Philosophen Kant hatte, sondern an dem Schriftsteller Hermann Kant. Das (gegenseitige) Interesse beruhte auf besonders Verbindendendem und besonders Trennendendem.

Links Gerhard Zwerenz, rechts Hermann Kant
Ich befrage jetzt jeweils Copilot, die KI von Microsoft:
Wer war der Schriftsteller Hermann Kant?
Hermann Kant (1926–2016) war ein deutscher Schriftsteller und Kulturfunktionär der DDR, bekannt vor allem durch seine Romane Die Aula (1965) und Der Aufenthalt (1977).
Leben und Hintergrund
- Geboren: 14. Juni 1926 in Hamburg (Groß Flottbek)
- Gestorben: 14. August 2016 in Neustrelitz (Mecklenburg)
- Familie: Sohn eines Gärtners und einer Fabrikarbeiterin; sein Bruder Uwe Kant wurde später Kinderbuchautor.
- Ausbildung: Nach der Volksschule machte er eine Elektrikerlehre.
- Kriegserfahrung: Ende des Zweiten Weltkriegs wurde er noch zum Wehrdienst eingezogen und geriet anschließend bis 1949 in sowjetische und polnische Kriegsgefangenschaft. Dort beteiligte er sich an der Gründung eines „Antifa-Komitees“.
Literarisches Schaffen
- Durchbruch: Sein erster Roman Die Aula (1965) brachte ihm große Popularität in der DDR.
- Weitere Werke: Das Impressum (1972), Der Aufenthalt (1977), Okarina (1987), Kennung (1990).
- Themen: Kant beschäftigte sich in seinen Büchern stark mit der DDR-Geschichte, der Rolle von Intellektuellen und den Widersprüchen des sozialistischen Systems.
- Rezeption: Seine Werke wurden in viele Sprachen übersetzt und erzielten hohe Auflagen in der DDR.
Politische und kulturelle Rolle
- SED-Mitglied: Seit 1949 Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED).
- Funktionen:
- Abgeordneter der Volkskammer (1981–1990)
- Mitglied des Zentralkomitees der SED (1986–1989)
- Präsident des Schriftstellerverbandes der DDR (1978–1989)
- Einfluss: Er war maßgeblich an der Ausgestaltung der Kulturpolitik und der Zensur in der DDR beteiligt.
- Kontroversen: Es wurde bekannt, dass er als Inoffizieller Mitarbeiter („IM Martin“) für das Ministerium für Staatssicherheit tätig war.
Bedeutung
Hermann Kant verkörperte die Verbindung von Literatur und Politik in der DDR. Einerseits war er ein erfolgreicher Schriftsteller, dessen Werke literarisch Beachtung fanden, andererseits ein Funktionär, der die staatliche Kulturpolitik mitprägte. Sein Hauptwerk Die Aula gilt bis heute als Schlüsselroman der DDR-Literatur.
Wer war der Schriftsteller Gerhard Zwerenz?
Gerhard Zwerenz (1925–2015) war ein deutscher Schriftsteller, Essayist und Politiker, der durch seine kritische Haltung gegenüber der DDR und später durch seine satirischen und polemischen Werke bekannt wurde.
Leben und Hintergrund
- Geboren: 3. Juni 1925 in Gablenz (Sachsen)
- Gestorben: 13. Juli 2015 in Oberreifenberg (Taunus)
- Familie: Sohn eines Ziegeleiarbeiters und einer Textilarbeiterin
- Ausbildung: Lehre als Kupferschmied
- Kriegserfahrung: Meldete sich 1942 freiwillig zur Wehrmacht, desertierte 1944 und geriet in sowjetische Kriegsgefangenschaft bis 1948.
Literarisches Schaffen
- Studium: Nach seiner Rückkehr studierte er von 1953 bis 1956 Philosophie bei Ernst Bloch in Leipzig.
- DDR-Zeit: Arbeitete zunächst als Journalist und Dozent, wurde aber zunehmend kritisch gegenüber dem SED-Regime.
- Übersiedlung: 1957 siedelte er in die Bundesrepublik über und arbeitete dort als freier Schriftsteller.
- Werke:
- Casanova oder der kleine Herr in Krieg und Frieden (Roman, großer Erfolg)
- Mehr als 100 Bücher: Essays, Romane, Satiren, Polit-Thriller, Biografien, Utopien
- Themen: Gesellschaftskritik sowohl am Sozialismus als auch am Kapitalismus, oft in satirischer Form.
- Stil: Bekannt für Polemik, Satire und scharfe Essays, die gesellschaftliche Zustände kritisch beleuchteten.
- SED-Mitglied: Von 1949 bis 1957 Mitglied der SED.
- Bundesrepublik: Nach seiner Übersiedlung engagierte er sich literarisch und politisch.
- Bundestag: Von 1994 bis 1997 Abgeordneter für die PDS im Deutschen Bundestag.
Gerhard Zwerenz war eine vielschichtige Figur:
- Einerseits ein kritischer Intellektueller, der sowohl die DDR als auch die Bundesrepublik mit satirischem Blick betrachtete.
- Andererseits ein politischer Akteur, der die PDS in den 1990er Jahren im Bundestag vertrat.
- Sein Werk ist breit gefächert und reicht von polemischen Essays über Romane bis zu politischen Schriften.
Also schon aus den einzelnen Lebensdaten ergibt sich einiges an Gemeinsamkeiten
- Sie stammen beide aus einem Jahrgang, der sie noch zu aktiven Soldaten machte: Kant 1926 und Zwerenz 1925.
- Sie waren beide 4 Jahre in Kriegsgefangenschaft: Kant – 1945 bis 1949 in polnischer [und in sowjetischer?] Kriegsgefangenschaft; Zwerenz – 1944 bis 1948 in sowjetischer Kriegsgefangenschaft.
- Sie kamen beide aus einfachen Verhältnissen: Kant – Sohn eines Gärtners und einer Fabrikarbeiterin; Zwerenz - Sohn eines Ziegeleiarbeiters und einer Textilarbeiterin.
- Beide waren Mitglied der „Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“ (SED): Zwerenz lediglich in der Anfangszeit bis 1957, Kant bis zum Ende der DDR (1989).
- Interessant auch, dass sie beide einige Jahre Abgeordnetenstatus hatten: Kant in der Volkskammer 1981 bis 1990; Zwerenz war von 1994 bis 1997 Abgeordneter für die PDS im Deutschen Bundestag.
- Außer, dass sie beide insbesondere in den 70er Jahren besonders bekannte deutsche Schriftsteller waren (Kant im Osten, Zwerenz im Westen) endet hier die äußere Gemeinsamkeit der Lebensverläufe.
Hermann Kant war mir persönlich als Schriftsteller weitgehend unbekannt, ich hatte jedoch einmal ein Buch von ihm gelesen, wo es (auch) um das Problem der CSSR von 1968 ging (Dubcek usw., der Titel war „Das Impressum“, 1972), das mich trotz seiner affirmativen Haltung im Sinne der offiziellen DDR-Linie, dennoch beeindruckte. Mir war seitdem klar, dass Hermann Kant ein ernstzunehmender Schriftsteller ist. - Dagegen die Literatur von Zwerenz war mir sehr bekannt, Zwerenz hat mich sozusagen jahrelang begleitet. Ein Buch habe ich noch besonders in Erinnerung: „Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond“ von 1973. Es geht dabei kritischerweise um Frankfurter Machenschaften von Immobilienhändlern, Wohnungsspekulanten und Politikern. Faßbinder hat dieses Buch am TAT (Theater am Turm), an dem er damals als ‚Künstlerischer Leiter‘ (Direktor) tätig war, in ein Theaterstück verwandelt, was ihm den Ruf als Antisemit eingetragen hat (was er m.E. mit ziemlicher Sicherheit nicht war, ebensowenig wie Zwerenz). dazu Copilot:
Rainer Werner Fassbinder verwandelte Gerhard Zwerenz’ Roman Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond in das Theaterstück Der Müll, die Stadt und der Tod (1975). Die geplante Aufführung am Theater am Turm (TAT) in Frankfurt führte zu einem der größten Theaterskandale der Bundesrepublik, weil Fassbinder darin einen „reichen Juden“ als Immobilienhai darstellte. Ihm wurde Antisemitismus vorgeworfen, die Premiere wurde verhindert, und das Stück blieb jahrelang unaufgeführt.
Das Bisherige war lediglich die Einleitung, um die beiden Schriftsteller vorzustellen. Nun zur Sache.
Beide Schriftsteller trafen sich 1997 zu einem „Leipziger Gespräch“. Es wurde 1998 mit 100 Seiten in einem kleinen Buch vom ‚Dingsda-Verlag‘ (nicht Erfurt, sondern Querfurt) veröffentlicht mit dem Titel: „Unendliche Wende“. Dieses Buch – klein, aber oho - kann ich nur wärmstens empfehlen!
Die beiden hatten vor allem am Anfang der DDR-Jahre noch gewisse Ähnlichkeiten. Beide wollten sie nach ihrer traumatischen Zeit als Kriegsgefangene mit ihrem Engagement in der DDR „ein anderes, ein neues Deutschland schaffen“, (Zwerenz, S.9). 1956 jedoch kamen beide mit der SED in Konflikt. Zwerenz in Leipzig, wo er einer der engeren Schüler (1953-1956) des bekannten Philosophen Ernst Bloch war. Zwerenz hatte im Gefolge des ‚Tauwetters‘ nach der Chruschtschow-Rede von 1956 eine kritische Haltung eingenommen und deswegen Schwierigkeiten und wurde schließlich 1957 aus der SED ausgeschlossen. Er flüchtete sodann in den Westen (Bloch blieb noch bis 1961, wiewohl 1957 zwangsemeritiert). Während Kant – trotzdem dieser ebenfalls in dieser Zeit Schwierigkeiten mit seiner Partei, der SED, in Berlin bekam - in der DDR weiterhin noch an deren Reformfähigkeit glaubte (ich denke analog zu Christa Wolf). Darüber will ich mich nicht aufhalten, auch nicht über ihre von ihnen kurz dargestellten (schlimmen) Schicksale als Kriegsgefangene. Beides ist natürlich hoch interessant! Auch über ihre diversen Querelen, Zitat: „den kalten Krieg, den wir auch persönlich von 1956 bis 1989, auch ´90 oder ´91, als wir uns das erste Mal persönlich begegnet sind, weitergeführt haben…“ (Zwerenz, S.15), möchte ich hinweggehen.
Worauf es mir jedoch hier ankommt, ist, dass sich beide Schriftsteller über Deutschland und die Zukunft Gedanken machen. UND DAS IST FÜR MICH DAS GEGENWÄRTIG INTERESSANTE: mit welchem klaren Blick sie auf Deutschland und in die Zukunft schauen, auch wenn sich diese erst 20 Jahre später voll entpuppen sollte. Diesbezüglich bringe ich jetzt einige Zitate aus dem Gespräch der beiden.
Erstes Thema: die typisch autoritäre kommunikative Situation in Deutschland.
G.Z.: < […] dann müßten wir [also die beiden, um ihren persönlichen kalten Krieg „auf sich beruhen zu lassen“, (Zwerenz, S.38)] ja versuchen, eine Verständnisebene zu erreichen, die durchaus produktiven Streit nicht ausläßt: Es gibt Dinge, da merkt man, das sind Konflikte, da gibt es im Moment keine Einigung – man läßt sie stehen, geht um sie herum und wendet sich anderen Problemen zu. So geht es eigentlich in einer intellektuellen Gesellschaft zu … Wir haben jedoch in Deutschland eine Kultur, die fortwährend ausschließt. Jede Gruppe versucht eine andere auszuschließen, in den Gruppen findet der gleiche Prozeß wieder statt. Dies ist eine ungute Tradition – es wird nicht miteinander gesprochen.“> (Zwerenz, S.38/39).
G.Z.: <[…] weil ich sehr viel lieber Leute von der Gegenseite hätte – das ist natürlich vor allem die rechte Seite des Hauses Deutschland -, weil ich lieber dort Leute hätte, die kenntnisreich über diese Dinge sprechen, und man kann Sprechen und Sprechen miteinander verbinden; aber da man es meist mit Leuten zu tun bekommt, die auf eine ungeheuerliche Art und Weise diffamierend über uns und gegen uns, die letzten Linken und Liberalen in diesem Lande, herziehen, muß man sich dann zur Wehr setzen und wird entsprechend laut – und das gefällt mir überhaupt nicht.> ( Zwerenz, S.39/40).
Zweites Thema: Humanität strebt mehr und mehr gegen Null.
G.Z.: < […] ich sage nicht, uns steht ein neues 1933 bevor, aber ich argwöhne, dass uns ähnliche Prozesse bevorstehen können, die jedenfalls so verlaufen, daß sie die Humanität, die für uns als Sozialisten das einzige Ziel sein kann, daß sie diese Humanität absolut delegitimieren und absolut auf Null hinunternivellieren. Das ist die eigentliche Gefahr, die ich sehe […]> (Zwerenz, S.43).
Drittes Thema: Neue Form von (innerdeutschem) kaltem Krieg.
H.K.: <Aber ich glaube, wir dürfen eine Sache noch nicht ganz als erledigt ansehen: die Sache mit dem kalten Krieg. Sie sagen, wir wollen uns dahingehend einig sein, der ist vorbei. Aber offenbar ist er auch nicht ganz vorbei. So, wie Kriege ihren Hof haben, haben auch kalte Kriege augenscheinlich ihren Hof: Er ist für beendet erklärt, aber es wird noch wenn nicht gestorben, so doch diffamiert, so doch gejagt, so doch verdächtigt et cetera, so daß ich mich also nicht ganz so beruhigt hinsetzen kann wie Sie.> (Kant, S.44).
Viertes Thema: Neue Form von kaltem Krieg: die NATO.
H.K.: <Was mich aufregt, ist die ganz verheuchelt neue Form einer anderen Art von kaltem Krieg. Um mal so etwas zu nennen, wo’s mir am deutlichsten wird: Wir erleben eine erbitterte Bemühung, die NATO nach Osten auszuweiten. Kein Teufel sagt, gegen wen eigentlich. Keiner sagt’s, aber jeder, der’n bißchen am Globus dreht, weiß doch was das soll. […] ich halte es für wirklich eine Aufgabe der Intellektuellen, der an intelligenten Nachrichten interessierten Leute, der Leute, die das nicht mehr so wollen, also vieler Leute, das jedesmal zu befragen … wenn man die kaum begründete Erklärung „Wir wollen die NATO nach Osten ausweiten“ hört, möchte man doch sagen: Gegen wen eigentlich? Ich habe gelernt, das ist eine Verteidigungsbündnis – so heißt es ja und das ist ja wohl auch –, aber gegen wen soll’s denn gedacht sein?> (Kant, S.45/46).
Fünftes Thema: Die intellektuellen Potenzen der ehemaligen DDR.
G.Z.: <Und ich möchte gern, daß die intellektuellen Potenzen der ehemaligen DDR, die es sehr schwer haben – nicht nur Sie, auch Ihre alten Genossen haben es sehr schwer –, ich möchte gern, dass wir gemeinsam über Wege nachdenken, wie wir Sie wieder in das lebendige, in das eigentliche Leben dieser Republik einfügen können, weil ich meine, wir können auf Dauer nicht auskommen ohne die Hilfe derer, die in Ostdeutschland denken.> (Zwerenz, S. 49/50).
H.K.: <…Völlig zutreffend, nur: Sie stoßen doch auf die wirklich eherne Wacht jener, die das genau wissen, was Sie jetzt gesagt haben. Es gibt durchaus Leute, und Einrichtungen dazu – das eine und das andere schließt sich ja nicht immer aus –, die natürlich von dieser von Ihnen beschriebenen Denkpotenz auch genau wissen und auch wissen, daß nicht erst seit Shakespeare denkende Leute für gefährlich gelten müssen, also, es wird eine Menge getan, um diese Art von Denken, von Sprechen und Gehörtwerden, also auch von Zuhören, zu stören.> (Kant, S.50/51)
G.Z.: <Aber das wundert Sie doch nicht, Herr Kant!> (S.51)
H.K.: <Das wundert mich nicht im allergeringsten!> (S.51)
G.Z.: <Das hatten Sie in der DDR, und das haben wir jetzt in der Bundesrepublik …> (S.51)
Sechstes Thema: Verbitterung und Trostlosigkeit in der ehemaligen DDR nach der ‚Wiedervereinigung‘.
G.Z.: <Was ich möchte, ist, dass an unserem Exempel …, daß wir über so breite und tiefe Gräben hinweg versuchen, uns eine größere Klarheit über uns selber zu schaffen, daß wir von daher einen kleinen Anstoß der Ermutigung für die vielen im Lande geben, die in der Zwischenzeit völlig resigniert haben. Sie glauben nicht, wenn ich hier durch Ostdeutschland fahre – und da bin ich dankbar für meine zwei Büchlein, die das ermöglichen, daß ich da nun zu Lesungen durch Neufünfland fahre – Sie glauben nicht, wieviel Resignation, wieviel Aussichtslosigkeit und wieviel auf physischen oder psychischen oder intellektuellen und moralischen Selbstmord gerichtetes Leben ich da erlebe […]> (S.55)
G.Z.: <Was wir lernen müssen, was wir neu lernen müssen – und deswegen lege ich so großen Wert darauf zu sagen, dieser kalte Krieg ist beendet, und soweit er das nicht ist, muß er beendet werden; ich weiß, wie viele das anders wollen, aber wir sollten es wollen! –, was wir also lernen müssen, ist, damit Raum zu schaffen, daß die vielen Leute für sich etwas suchen, daß sie eine Möglichkeit haben, mir ihrer Person, mit ihrer Subjektivität wieder gesellschaftlich-politisch tätig zu werden. […] Wir brauchen Leute, die in diese Gesellschaft ihr Engagement wieder hineinbringen und die dafür sorgen, daß es aus diesem bewegungslosen Zustand wieder in einen Zustand der Vorwärtsbewegung kommt und nicht in dem Zustand der Rückwärtsbewegung bleibt, in dem wir uns jetzt befinden, mit allen Gefahren!> (S.56/57).
Siebtes Thema: Entwicklungen, die uns bevorstehen.
G.Z.: <Es ist in jedem dieser Deutschlande, wenn wir in der Geschichte zurückblicken, dem Krieg, der Gewalt, der Brutalität eine Phase des Einrichtens darauf vorangegangen. Und wir müssen einfach eingestehen, die Intellektuellen haben jeweils versagt, sie sind nicht darauf vorbereitet gewesen. Und jetzt sage ich es ganz radikal: Wir gehören einer Kultur an, die dies nicht lehrt, die dies auch nicht wissen will! Als das zwanzigste Jahrhundert begann, haben sich diese Leute, die damals sich Gedanken gemacht haben, was wird es bringen, alle möglichen Gedanken gemacht, aber nicht im Geringsten das, was dann gekommen ist … Wir werden überrascht!
Denken Sie an alle großen Umbrüche dieser Zeit! Glauben Sie, vorher hat jemand was davon bemerkt? Es geht immer linear, und dann kommt ein ungeheuerlicher Umbruch, aber in der Zwischenzeit sind Vorbereitungen auf diesen Umbruch im Gange – und das müssen wir durch Sensibilität lernen zu signalisieren. Und deswegen bin ich so darauf aus zu sagen: Leute, paßt auf! Dies geht auf eine neue Krise, auch Weltkrise, hin! Ich nehme Ihr Wort auf von der Osterweiterung der NATO: Es geht absolut alogisch zu, es ist nichts mehr begründbar. Nur diejenigen, die die Macht haben, sagen das, was sie für richtig halten – sie brauchen es auch nicht zu begründen, denn die Deformationsindustrie fragt sowieso kaum noch nach …> (S.61-63)
Achtes Thema: Schwächung der Demokratie (im Sinne des Grundgesetzes).
G.Z.: <Diese Regierung und diese Regierungskoalition jeweils, also diese Bonner Macht, hat kein Monopol. Solange dort ein Pluralismus herrscht, kann man dagegenhalten. Meine Ängste sind auf den Abbau dieses Pluralismus gerichtet: daß hier eine innere Schwächung stattfindet – und diese innere Schwächung kann zum Schluß durchaus in Gegenden führen, wo das Mißtrauen wiederum staatlich sanktioniert werden kann. [Zwerenz geht es dabei speziell um Mißtrauen gegenüber den Schriftstellern.] Dies ist eine der Gefahren, vor der ich beizeiten warnen möchte.> (S.68/69)
[Zwerenz fürchtet einen „Abbau von literarischer, politischer, moralischer Freiheit.“ (S.70)]
G.Z.: < […] wenn also dies alles soweit abgebaut ist, sehe ich die Gefahr von DDR-ähnlichen Verhältnissen in Gesamtdeutschland, und dies möchten wir doch bitte gemeinsam vereiteln dürfen können …> (S.70/71)
H.K.: <… Also, wenn man mich fragt, was soll man lesen, sage ich: Grundgesetz! Und dann vielleicht auch noch das Bürgerliche Gesetzbuch, das wär‘ beste Lektüre…> (S.72)
G.Z.: <Auch die DDR-Verfassung war gar nicht so schlecht,…> (S.72)
H.K.: So ist es. [...] Ich habe das also jetzt gelesen, […] jedenfalls: Ich lese dieses Grundgesetz […] Ich glaube, zu dem am wenigsten rumgesprochenen Lesematerial in diesem Lande gehört das, was da drinsteht. […] Die Verfassung ist eigentlich ja gedacht, nicht ihre Väter zu beglücken, sondern die, die mit ihr jetzt leben sollen. Und denen zu sagen, kuckt doch mal rein und verteidigt sie, halte ich für außerordentlich angebracht.> (S.72-74)
G.Z.: <Wir haben nach dem Ende des Moskauer Modells als äußere Alternative in der Tat als uns Verbindendes dieses Grundgesetz. Und ich bin auch gegen die Veränderungen, die legalerweise an diesem Grundgesetz vorgenommen werden, ganz abgesehen von den Veränderungen, die vorgenommen werden ganz einfach durch Interpretation. Ich will darüber jetzt nicht weiter sprechen, ich will nur sagen: Das, was wir haben, was verteidigungswert ist, ist dieses Grundgesetz, und vor allen Dingen darin der als unabdingbar bezeichnete Pluralismus. Wenn wir diesen Pluralismus nicht mehr haben, wenn sich also aufs neue irgendwas in Richtung autoritär – von diktatorisch will ich noch gar nicht sprechen – entwickelt, dann sind wir endgültig wieder dort, daß es ein Deutschland gibt wie gehabt […] > (S.77)


|