Gedanken zum Buch von Hermann Glaser – Spießer-Ideologie. Von der Zerstörung des deutschen Geistes im 19. und 20. Jahrhundert, Verlag Rombach, Freiburg 1964
Der Nationalsozialismus ist nicht plötzlich vom Himmel runtergefallen, sondern hat historische Wurzeln; das heißt, er kam nicht ohne Voraussetzungen nach dem verlorenen 1. Weltkrieg, also seit Anfang der 20er Jahre, zur Entfaltung. Glaser versucht, diesen Bedingtheiten innerhalb der deutschen Geschichte nachzugehen (ungefähr seit der Goethe-Zeit). Für diesen Zweck kann Glaser vielerlei Details und interessante Fakten vorlegen. Beispielsweise bringt er etliche Zitate aus der „Gartenlaube“, einer beliebten dt. Zeitschrift ab Mitte des 19.Jhdts. Und insofern lohnt sich die Lektüre. Das Buch gehört in ein ganzes Spektrum von Literatur, die sich, vor allem in den 60er Jahren, mit dem Nazi-Unheil auseinandergesetzt hat. Dies hat sicherlich auch in der Studentenbewegung seit 1966 (bekannt als „die 68er“) starken Ausdruck gefunden. Man muss allerdings sagen, dass – bei allem lautstarken Antifaschismus – dennoch bei vielen Beteiligten selber, mehr oder minder stark, antidemokratische, inhumane, freiheitsfeindliche, dogmatische Dispositionen im seelischen Untergrund (vgl. Tilmann Moser: Politik und seelischer Untergrund, Suhrkamp Ffm 1993) vorhanden waren. Sie kamen deutlich zum Vorschein vor allem durch die Existenz der RAF und ihrer Sympathisanten aber auch durch vielerlei sog. K-Gruppen, die vor allem Mao’s China, manche auch die Sowjetunion oder die DDR als Vorbild ansahen. – Das fundierte Wissen, das sich bzgl. der NS-Bewegung durch jene Literatur der 60er Jahre ausbreitete, ist offenbar mittlerweile bei den heutigen Generationen weitgehend wieder verloren gegangen, sodass sich ‚bestenfalls‘ eine Halbbildung breitmacht, die völlig unausgegoren von ‚Rassismus‘ schwadroniert und politisch anders Denkende unüberlegt als „Nazis“ diskriminiert, N-Wort und Z-Wort verbietet und überhaupt Tür-und-Tor für (selbstverständlich absolut gerechtfertigte) Zensur samt Meinungsdiktat öffnet und meint, damit hätte sie die Demokratie gepachtet. – Für mich besonders interessant an dem Buch war die Darstellung der Rolle der Kirchen im ‚Dritten Reich‘ (S. 245 ff.). Sie spielten ja im wilhelminischen Obrigkeitsstaat schon ihre Herrschafts-stabilisierende (nationalistische, militaristische und auch antisemitische) Rolle – über den 1. Weltkrieg hinweg tatsächlich bis 1945. Die wenigen Ausnahmen, die es im 3. Reich gab, welche die Kirchenpropaganda nach 45 natürlich als das Wesentliche der Kirchen im 3. Reich herausstreicht, waren politisch absolut unerheblich. Angeblich haben die Kirchen lt. Glaser nach 45 eine „moralische Besinnung“ vollzogen. Was sie aber nicht daran hindert, auch heutzutage wieder eine unheilvolle politische Rolle beim neuentfachten Fanatismus der deutschen Spießbürger (das sind nach meiner Schätzung ca. 80% des Volkes) zu spielen, vor allem bzgl. der offiziellen fanatischen Flüchtlingspolitik; so wurden – nur mal als kleines Beispiel – bei Kundgebungen von angeblichen ‚Nazis‘ zur Störung laut die Glocken geläutet. Bei der fanatischen Kriegshetze im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg sind sie auch dabei, und desweiteren bei der derzeitigen fanatischen Klimahysterie. – Alle drei Fanatismen sind meines Ermessens aus dem nach wie vor antidemokratischen, Pluralismus- und Freiheitsfeindlichen seelischen Untergrund der deutschen Spießer hervorgebrochen mit (wieder einmal) unabsehbar negativen Folgen. – Ich gehe sogar so weit zu sagen, dass ohne die Kirchen die deutschen Spießer zahm geblieben wären, sowohl was den 1. Weltkrieg anbelangt, als auch 1933 ff. Denn erst wenn die Kirchen den Spießern die Freifahrkarte für irgendwelche Fanatismen offerieren, kann ein Teil dieser Spießer moralisch gerechtfertigt wild und fanatisch werden. Denn zur Definition der Spießer gehört, dass sie kein ernsthaftes „Sapere aude“ kennen, sondern ihre Moralbildung entstammt heteronomen Quellen: Das was die Medien und Kirchen verkünden, das was ‚man‘ (vor allem auch frau) so zu glauben bzw. zu verabscheuen hat.
Eine fanatasierte Minderheit der Spießer (vielleicht 20% aller Spießer) beherrscht sodann die Propaganda und Meinungsbildung für den Rest der Spießer und steuert (unaufhaltsam!) den Staat samt Justiz – bis alles an die Wand gefahren ist und damit mit dem ganzen Spuk endlich Schluss ist. Es würde mich wundern, wenn das diesmal anders sein sollte. Getreu dem Gedicht von Hans Magnus Enzensberger:
die augen aufzuschlagen und zu erblicken:
etwas gutes, zu sagen: ich habe unrecht behalten.
süßer tag, an dem das selbstverständliche
sich von selber versteht, im großen und ganzen!
was ein triumph, kassandra,
eine zukunft zu schmecken, die dich widerlegte!
etwas neues, das gut wäre.
(Aus Gedicht „zweifel“ – in: Verteidigung der Wölfe 1957)
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