Was ist Propaganda Teil 3
18,03,25
Es gibt noch eine wichtige Propagandaform, bei der es darum geht, jemand als Feind zu brandmarken, indem man ihn (oder eine ganze Gruppe) moralisch schlechtmacht. Der Trick bei dieser Legendenproduktion ist, dass alles nur erdenklich mögliche zusammengekratzt wird, was einem dazu in den Kram passt. Aber niemals konkret auf eine ganz bestimmte Argumentation, eine ganz bestimmte Tätigkeit (des ‚Feindes‘) eingegangen wird, um beweiskräftig aufzuzeigen, worauf genau denn nun hier die moralische Verwerflichkeit beruht. Bestenfalls sind es irgendwelche Andeutungen nach dem Motto: „Man weiß ja Bescheid...!“ – Auch hier sehe ich wieder die mangelnde Fallunterscheidung am Wirken, da dem ‚Feind‘ ja keine Gelegenheit gegeben wird, dass er dargestellt wird, wie er wirklich ist. Denn wenn der Propagandist es scheut, beweiskräftig konkret zu werden, besteht der dringende Verdacht, dass es ihm eigentlich nur um bösartige Stimmungsmache, also um Hetze geht.
23,01,16
Diesen Sachverhalt möchte ich nun in einem Beispiel erörtern. (Vgl. auch ganz allgemein empirische Übung 4: Was ist Propaganda?)
Es handelt sich um einen Artikel der „hessenschau.de“ (im Internet) vom 14.01.23. Die Überschrift lautet: „Vorträge über Ukraine-Krieg. Umstrittener Historiker tritt im Bürgerhaus Bensheim auf.”
Die Überschrift ist schon insofern ‚aussagekräftig‘ als dass der Historiker „umstritten“ ist. Also irgendwie verdächtig, nicht ganz seriös, mit Vorsicht zu genießen. [Im “Neusprech-Deutsch, ein Wörterbuch” von Claudio Casula auf der Website von Achgut.com vom 03.01.23, wird ‘umstritten’ folgendermaßen definiert: “Person des öffentlichen Lebens, die nicht auf Linie ist”.]
Dann wird im dicken Einleitungstext von Volker Siefert nachgeschoben: „Holocaust-Vergleiche und Schuldumkehrung beim Ukraine-Krieg: Der Schweizer Historiker Daniele Ganser plant mehrere Vorträge in Bensheim. Eine Bürgerinitiative wendet sich dagegen, die Stadt sieht keine Handhabe.“
Mit Gansers „Holocaust-Vergleichen und der Schuldumkehrung beim Ukraine-Krieg“ ist jetzt gleich mal klar gestellt, dass es sich hier um ein übles Subjekt handelt. Und dass die ‚Umstrittenheit‘ ja offenbar wohl zu Recht besteht. Nur sieht die Stadt ja leider keine Handhabe gegen dieses umstrittene Subjekt, das in ihren heiligen Hallen auftreten will. Aber von Rechts wegen müsste das diesem Subjekt doch untersagt werden!
Eine Bensheimer Bürgerinitiative „Vielfalt“ [unverkennbar nicht auf Meinungen bezogen] begründet ihre Gegnerschaft zu Gansers Auftritten folgendermaßen: Angesichts der vielen Menschen, die vor dem russischen Angriffskrieg aus der Ukraine auch nach Bensheim geflohen sind, "passen Gansers verschwörungsbehafteten Erklärungen nicht in ein öffentliches Gebäude".
Offenbar handelt es sich gemäß der Bürgerinitiative bei der „Schuldumkehrung beim Ukraine-Krieg“ um „verschwörungsbehaftete Erklärungen“.
Der Journalist Volker Siefert von „hessenschau.de“ klärt nun darüber auf, dass Ganser „seit vielen Jahren mit Verschwörungstheorien“ „von sich reden“ mache. Zusätzlich vertrete er „inhaltliche Positionen der Querdenker-Szene“. In einem Film „rückte er die von ihm wahrgenommene Spaltung zwischen Geimpften und Ungeimpften in die Nähe des nationalsozialistischen Staats, in dem die Nazis den Holocaust an den Juden verübten.“ „Wenn er über Deutschland als besetztes Land ohne Friedensvertrag spricht, lässt ihn das anschlussfähig an die Reichsbürgerszene erscheinen.“
Also weil X irgendwas vertritt, was irgendwelche ‚Schmuddelkinder‘ auch vertreten, ist schon alles klar. Eine Auseinandersetzung mit den Argumenten von X erübrigt sich deshalb. Und was nun konkret die „Verschwörungstheorien“ des X sind, und worin sie unhaltbar sind, braucht man nun auch nicht mehr darzulegen.
Desweiteren, dass Ganser irgendwas vertritt, was an Putinistische Behauptungen „erinnert“, macht es überflüssig auf seine Argumente einzugehen. „Auch wenn er Putins Überfall auf die Ukraine nicht gutheißt, erinnert seine Darstellung des Kriegs an die vom Kreml verbreitete Position, die Nato stecke durch die Aufnahme osteuropäischer Staaten hinter der militärischen Eskalation.“
Was also hier von Siefert suggeriert wird: Ganser steckt unter einer Decke mit der Querdenker-Szene, mit der Reichsbürgerszene und schließlich auch noch mit Putin. Alle drei Szenerien wurden schon hinreichend durch die ‚Öffentlichkeit‘ abgeurteilt und somit kann man auch Ganser aburteilen. Quod erat demonstrandum!
Es geht dann noch weiter in dem Artikel um den Pfarrer, der mit seinem Verein „Lebenskunst“ für die Einladung an Ganser verantwortlich ist. Auch ihm will man an den Kragen. Seine Kirche ist zwar ebenfalls gegen Ganser, aber naja.
Auch die Stadt Bensheim "distanziert sich ausdrücklich" von Gansers Positionen, wie sie mitteilt. Doch die Meinungsfreiheit sei ein hohes Verfassungsgut. "Solange der Vortrag sich innerhalb der von Verfassung und Strafrecht definierten Grenzen bewegt, sind auch schwierige oder schmerzhafte Meinungen und Ansichten zu tolerieren, denen innerhalb eines gesellschaftspolitischen Diskurses begegnet werden muss."
Dieses Verfassungsgeschwätz über das hohe „Vefassungsgut“ der Meinungsfreiheit - alles Papperlapapp: Denn
Als nächstes könnte doch die Stadt „politischen Spielraum nutzen“, will heißen, da gibt’s doch Vorbilder in Österreich z.B. „das oberösterreichische Steyer. Dort stornierte die Kulturstadträtin Katrin Auer (SPÖ) jüngst eine Veranstaltung Gansers in der Stadthalle. Und in Innsbruck untersagte Bürgermeister Georg Willi (Grüne) einen Auftritt Gansers in einer Halle mit städtischer Beteiligung ebenfalls mit Verweis auf dessen verschwörungstheoretische Positionen.“
Dem einladenden Pfarrer Justus Keller und dem Verein “Lebenskunst”, dessen Vorsitzender er ist, geht’s lediglich insofern an den Kragen, als die Sponsoren kommunaler Energieversorger GGEW und die Sparkasse Bensheim sich mit fadenscheiniger Begründung zurückziehen: Wer nicht spurt – kein Zaster! (Enzensberger).
Wie man sieht, operiert dieser Artikel der Hessenschau (also immerhin das Nachrichtenprogramm eines ‚seriösen‘ dt. Fernsehsenders) lediglich mit negativistischen Behauptungen über die Person Daniele Gansers ohne nähere Untersuchung, was genau hinter diesen Behauptungen steckt, und ob sie zu rechtfertigen sind. Da diese Behauptungen in ihrem Negativismus somit einfach als bare Münze genommen werden, besteht offenbar fraglos Berechtigung, zur Jagd auf das entsprechend unwillkommene Subjekt zu blasen. Verfassung hin, Demokratie her, Meinungsfreiheit hinundher. – Und da soll mir noch einer erzählen: „Wehret den Anfängen!“ Wir sind schon mittendrin!
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